Seriengott oder
untalentierter Sexist?
von Henni
Steven
Moffat fasziniert mich wie nur wenige andere Autoren. Der Grund? Für eine lange
Zeit konnte ich nicht sicher sagen, ob ich ihn mag oder nicht. Für jedes seiner
Projekte, das mir gefiel, kam ein anderes, bei dem ich nur den Kopf schütteln
konnte. Teilweise habe ich meinem Ärger über ihn auch schon hier auf diesem Blog Luft gelassen. Hätte ich Reviews zu allem, was er danach gemacht hat (ganz
besonders Time of the Doctor),
geschrieben, wären sie ähnlich negativ ausgefallen. Also habe ich es gelassen,
da ich das nicht besonders konstruktiv gefunden hätte und besseres mit meiner
Zeit zu tun hab.
Und
ich bin nicht der Einzige. Auch Fans sind sehr zerstritten, was Moffat angeht.
Für die einen ist er ein Genie, dass Doctor
Who gerettet und Sherlock
geschaffen hat. Für die anderen ist er derjenige, der Doctor Who kaputt geschrieben und Sherlock Holmes besudelt hat. Dann gibt es wieder andere, die ihn
vor allem mögen, weil er nicht wie sein Doctor
Who Vorgänger schwul ist. Die letzteren sind dumm, aber die oberen beiden
Gruppen haben beide verständliche Positionen.
Nach
langem Nachdenken bin ich nun endlich aber zu einigen endgültigen
Schlussfolgerungen darüber gekommen wo ich Moffat sehe, die sowohl seine besten
Momente als auch seine schlimmsten kreativen Verbrechen berücksichtigen. Ich
entschuldige mich bereits im Voraus dafür, dass das hier ein längerer Artikel
wird.
Bevor
wir anfangen wäre es auch vielleicht noch gut klarzustellen, was genau ich von
Moffat kenne. Die folgenden Punkte basieren alle auf seiner Arbeit an Doctor Who, Sherlock, Jekyll und Tim und Struppi: Das Rätsel der Einhorn.
Ich weiß, dass er auch im Sitcom Bereich mit Joking Apart und Coupling
große Erfolge gefeiert hat, aber aus Gründen die gleich klar werden, habe ich
kein Interesse daran diese Serien nachzuholen.
Dann
lasst uns nach dieser unnötig langen Einleitung gleich loslegen! Für die
genannten Serien gilt eine Spoilerwarnung.
1. Steven Moffat
kann keine eigenen Charaktere schreiben
Das
wirkt vielleicht wie ein harter Einstieg, aber es ist auch Moffats größte
Schwäche. Er kann beim besten Willen keine eigenen Figuren schreiben. Das zieht
sich durch alle seine Werke. Alle Nebenfiguren in Jekyll sind austauschbar, sämtliche seiner Figuren in seinen
eigenen Doctor Who Staffeln ebenso.
Ganz
besonders schlimm ist das bei seinen weiblichen Figuren. Sie sind quasi alle
gleich. Sie sind alle etwas sarkastisch, sind oft am flirten und sind pseudo-unabhängig
(sie sollen zwar unabhängig sein, sind aber meist komplett an die männliche
Hauptfigur gebunden). Sie haben zwar manchmal unterschiedliche
Hintergrundgeschichten, aber diese hallen in den Figuren nicht wieder. Und so
verhält sich eine Zeitreisende wie River Song, die in ihrer Kindheit entführt
und zu einer Killermaschine gemacht wurde, genauso wie die Ehefrau aus Jekyll oder wie die Doctor Who Companions Amy und Clara. Sie
sind alle die selbe Figur.
Das
heißt auch, dass sie sich nie weiter entwicklen. Amy schafft es z.B. zu
sterben, ihren Mann mehrfach sterben zu sehen, ihr Kind zu verlieren, zu
erleben wie ihr Kind zu einer Killerin wird, den Doctor sterben zu sehen, sich
zu scheiden, sich wieder zu versöhnen und schließlich zu altern ohne sich ein
kleines bisschen zu verändern.
All
das ist auch der Grund warum mich Moffats Sitcoms nicht interessieren. Eine charakterzentrierte (!)
Show über Beziehungen (!) von ihm wirkt auf mich etwa so interessant wie eine
Israel Dokumentation von Mel Gibson.
2. Steven Moffat
kann gut Geschichten für bereits festgelegte Charaktere schreiben
Wenn
Moffat aber nicht selber Figuren erfinden muss, sondern ihm bereits Charaktere
vorgegeben werden, kann er echt gute Arbeit leisten. Wenn diese Figuren dann
auch noch Männer sind, dann umso besser. Deshalb ist er in Sherlock und Tim und Struppi
so gut darin über Männerfreundschaften zu schreiben.
Auch
bei Jekyll sind die einzig
interessanten Figuren diejenigen, bei denen es bereits eine literarische
Vorlage gibt: Jekyll und Hyde. Bei seinem Doctor
Who ist auch der Doctor selbst, die am besten geschriebene Figur, weil sich
Moffat ausgiebig bei seinen Vorgängern (besonders Russel T. Davies) bedienen
konnte. Und es ist auch sicher kein Zufall, dass seine besten Folgen in der
Serie die sind, die aus der Zeit als er noch nicht Showrunner war stammen.
3. Steven Moffat
ist ein Sexist
4. Steven Moffat
hat gute Ideen…
Moffat
hat teilweise fantastische Ideen. Die Weeping Angels und die Silents sind
einige der besten Doctor Who
Monster. In der gleichen Serie kreativer mit Zeitreisen und Zeitparadoxen
umzugehen war ebenso genial. Die Idee Sherlock
in die jetzige Zeit zu versetzen ist toll (wenn auch aus den Basil Rathbone
Sherlock Holmes Verfilmungen
geklaut) und wunderbar umgesetzt. Das Gleiche gilt für Jekyll.
In
den besten Fällen werden diese Ideen zu wirklich guten Geschichten, wie in
seinen frühen Doctor Who Folgen, den
ersten zwei Staffeln Sherlock und
der ersten Hälfte von Jekyll.
5. …aber er
setzt sie auch oft in den Sand
Leider
schafft es Moffat viele seiner Ideen im Nachhinein kaputt zu machen. Die
Weeping Angels haben nur in ihrer ersten Folge Blink funktioniert. Alle späteren Auftritte waren mehr als
peinlich. Das Gleiche gilt bei den Silents. Auch die Zeitparadoxe hat er zu
Tode geritten, in dem er sie bei fast jeder seiner Geschichten in den
Mittelpunkt gestellt hat. Sherlock hat
sich mit der Zeit auch nicht mehr darauf beschränkt subtil zu zeigen wie Sherlock Holmes noch heute
funktionieren kann, sondern hat versucht mit dem Holzhammer zu zeigen wie
clever es doch ist.
6. Steven Moffat
kann keine großen Handlungsbögen schreiben
Moffat
hat ein Faible dafür große Geschichten über mehrere Staffeln zu erzählen, nur
leider hat er kein Talent dafür. Sein großer Doctor Who Handlungsbogen ist ein wirres Desaster mit viel zu
vielen Ideen, die zusammengeworfen wurden ohne durchdacht zu werden.
Außerdem
baut Moffat ständig Erwartungen auf, die er nicht halten kann. Und wenn er eine
Frage aufwirft bekommt man darauf als Zuschauer keine Antwort, sondern eine
Erklärung. So ist z.B. die Auflösung von Sherlocks
Tod mehr als enttäuschend. Das gleiche gilt für Jekyll. Dort schafft es Moffat nicht einmal eine Geschichte über 6
Folgen vernünftig erzählen.
7. Steven Moffat
entwertet Geschichten im Nachhinein
Moffat
schafft es nicht nur Erwartungen zu enttäuschen, er untergräbt auch ständig
seine eigenen (und anderer Leute) Geschichten. Die Erklärung für Sherlocks Tod zerstört die Spannung des
Finales der 2. Staffel. Denn laut Erklärung wusste Sherlock die ganze Zeit was
gespielt wurde und wurde nicht etwa wie in der Folge gezeigt an seine Grenzen
getrieben.
Ebenso
untergräbt das Finale von der 3. Staffel Sherlock
den Charakter der Mary Watson. Statt einer klugen, eigenständigen Frau, die
sich super mit Sherlock und Watson ergänzte, ist sie nun eine Mörderin und
Geheimagentin, die die beiden die ganze Zeit über belogen hat.
Aber
am schlimmsten ist der Retcon aus Day of
the Doctor. Denn dort löscht Moffat die Schuld des Doctors am Tod seiner
Rasse aus und reißt somit 7 Jahre Charakterentwicklung ein.
8. Steven Moffat
berherrschte Pacing und Dramataurgie…
Einer
der Gründe warum Moffat mit all seinen Fehlern trotzdem durchgekommen ist, war
sein Gespür für Pacing. Auch wenn einen die Charaktere egal waren, hat einen
seine Dramaturgie mitgerissen. Er hat es selbst geschafft Ansammlungen aus
Einzelszenen und Zeitsprüngen wie A
Scandal in Belgravia unterhaltsam zu machen. Auch die 6. Staffel Doctor Who war so spannend, dass es
einem egal war, dass kaum etwas Sinn machte.
9. …bis er es
nicht mehr beherrschte
Sein
Gespür für Pacing war Moffats größte Stärke. Umso verheerender war es als er sie
nach Staffel 6 verlor. Und es passierte so plötzlich. Im einen Moment wirkte es
als wäre er auf dem Hoch seiner Karriere und im nächsten schrieb er The Doctor, the widow and the wardrobe.
Was zunächst wie ein Ausrutscher wirkte, wurde leider zum Normalzustand. Seit
dieser Folge hat Moffat kein gutes Drehbuch mehr geschrieben.
Zunächst
wirkten seine Geschichten einfach unorganisch. Szenen existierten zum
Selbstzweck und passten nicht zum Rest der Folge, Dialoge liefen länger als sie
sollten während andere Elemente viel zu überhastet abgehandelt wurden (z.B. die
Scheidung von Amy und Rory).
Aber
es wurde noch schlimmer. Seine letzten Folgen bei Doctor Who und Sherlock
waren schlicht unansehbar. Die Geschichten hatten kaum Tempo und er machte
echte Anfängerfehler beim Schreiben. So missachtete er unter anderem bei The Time of the Doctor fast die ganze
Folge hindurch die „show, don’t tell“ Regel. Die verdammte grundlegendste Regel
des Geschichtenerzählens!
10. Steven
Moffat konnte alte Ideen für neue Zuschauer interessant machen
Was
haben Sherlock Holmes, der Doctor, Jekyll/Hyde und Tim und Struppi gemeinsam?
Sie sind anderer Leute Ideen. Damit habe ich prinzipiell kein Problem. Es gibt
Schreiber, die sind dazu geboren etwas Neues zu schaffen, und es gibt
Schreiber, die nur die schon vorhandenen Spielzeuge neu anordnen. Zwar sind die
aus der erste Gruppe, wenn sie Erfolg haben, meistens
wichtiger/besser/wegweisender, aber das heißt nicht, dass die zweite Gruppe zu
unterschätzen ist. Manchmal können neu angeordnete Spielzeuge sogar besser
sein, als das Original (z.B. ist Der
Pate eine Adaption, die in jeder Hinsicht ihrer Vorlage überlegen ist).
So
gut war Moffat zwar nie, aber er konnte all diese alten Ideen für eine neue Generation
wieder interessant machen, indem er verstanden hat was sie schon immer gut
gemacht hat.
11. Jetzt
schreibt Steven Moffat nur noch für eine kleine, spezielle Gruppe
Aber
irgendwann in den letzten Jahren war es ihm auf einmal nicht mehr genug Geschichten
für alle Zuschauer zu erzählen und er hat sich auf ein neues Zielpublikum
eingeschossen: Fanboys. Auf einmal musste er Zuschauer mit unnötigen
Anspielungen erschlagen, damit eine kleine Gruppe Fans darüber freuen konnte,
dass ein Name genannt wurde, den sie aus ihrer Kindheit kennen.
Am
schlimmsten hat dies Doctor Who
getroffen. Die Miniepisode Night of theDoctor ist absolute Negativbeispiel für diese Art von Schreiben. In ihr
taucht der nur aus einem TV-Film aus dem Jahr 1996 bekannte 8. Doctor für 5
Minuten auf, nennt ein paar Namen aus den Fanhörspielen, in denen er in den
letzten Jahren mitgemacht hat, nur um dann zu sterben. Man hat als Zuschauer
keinerlei Grund irgendetwas dabei zu fühlen, denn man weiß nichts über diese
Figur. Die einzigen, die sich darüber freuen, sind Fans, denen es wichtiger
ist, dass ein paar Namen genannt werden, als dass eine ansprechende Geschichte
erzählt wird.
Und
das ist nur ein Beispiel von vielen. Genauso schlimm ist Tom Bakers Auftritt in
Day of the Doctor oder der
Archivbild-Angriff aller 13 Doctoren in Day
of the Doctor oder so ziemlich alles aus Day of the Doctor. Dies sind keine vollwertigen Geschichten für ein
breites Publikum. Es ist Fan-Fiction für nostalgische Altfans.
12. Steven
Moffat ist kein guter Showrunner
Je
weniger Entscheidungsgewalt Moffat hat, desto besser sind die Projekte an denen
er beteiligt ist. Das ist eine traurige aber zutreffende Regel. Deswegen waren
seine Doctor Who Drehbücher unter
Russel T. Davies so gut. Weil es jemanden gab, der seine Schwächen ausmerzen
konnte und das letzte Wort hatte. Tim
und Struppi ist so gut, weil Edgar Wright und Joe Cornish sein Skript
überarbeitet haben und Steven Spielberg das letzte Wort hatte. Sherlock war für 2 Staffeln so gut,
weil Moffat in Mark Gattis einen fähigen Co-Showrunner hatte, der ihm zur Seite
stand.
Doctor Who ist momentan so
schlecht, weil niemand Moffat ausbremsen kann. Klar hatte die Show unter Moffat
auch ihre guten Momente, aber selbst dann war sie durchzogen von seinen
typischen Schwächen.
Und
es sind nicht nur seine eigenen Episoden, die leiden. Die ganze Serie wirkt auf
einmal seltsam zerwürfelt und inkonsistent. Die Sets, Kostüme und der Vorspann
ändern sich dauernd. Man hat als Zuschauer keine Gelegenheit sich an irgendwas
zu gewöhnen. Auch die Folgen der restlichen Autoren wirken nicht wie aus einem
Guss. Es gibt keine durchgängig gehaltene Qualität und keine durchgängige
Atmosphäre. Man könnte zwei Wochen hintereinander einschalten und das Gefühl
haben zwei völlig unterschiedliche Serien gesehen zu haben.
13. Steven
Moffat ist gut in einem Team
Aus
den schon genannten Gründen ist Moffat besser als einer von vielen Schreibern
in einem Autorenteam geeignet. Er hat seine Schwächen, aber auch seine Stärken
und er braucht jemanden der ihm dabei hilft erstere auszumerzen und letztere
voll zu nutzen. Jemanden, der das beste aus seinen Ideen herausstilisieren und
von allem Sexismus trennen kann.
14. Steven
Moffat ist zu erfolgreich
Leider
war Steven Moffat zu erfolgreich für sein eigenes Wohl. Er hat mit Sherlock und Doctor Who zwei der erfolgreichsten britischen Serien am Laufen. Er
wird danach nicht einfach wieder einer von vielen in einem Team sein. Egal was
er als nächstes macht, er wird wieder der Boss.
Und
das ist nicht gut für ihn, denn als Boss liefert er keine gute Arbeit ab. Und
so wäre Steven Moffat ein Gefangener seines eigenen Erfolges.
15. Es gibt noch
Hoffnung
Es
gibt einen Ort, an dem Moffat nicht der Boss wäre: Hollywood. Sollte Moffat
nach dem Ende seiner Serien dort mit seiner Karriere weitermachen, so besteht
noch eine Chance. Denn er kann im TV so erfolgreich wie er will gewesen sein,
ein Spielberg wird ihm trotzdem wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Damit hätte Moffat dann wieder, Tadaa, jemand der ihn ausbremsen kann.
Also
gibt es am Ende dieses ganzen Artikels doch noch Hoffnung. Zu seinem eigenen
Wohl muss Moffat wieder ein Teamplayer werden. Denn wenn er seinen derzeitigen
Kurs fortsetzt, schreibt sich Steven Moffat erfolgreich in die
Bedeutungslosigkeit.
Gucke gerade eine Moffat Folge und hab beim googeln deinen Artikel entdeckt.. Du hast es einfach auf den Punkt gebracht! Vielen Dank! Ich denke manchmal bei dem Hype um 11 und 12, dass ich die einzige bin, die die Stories einfach nur wirr findet mit ihren plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Lösungswegen und den nicht nahbaren Charakteren (trotz ihrer langen Familiengeschichte und privater Einblicke..). Also Dankeschön! Muss mir den Artikel unbedingt bookmarken, für den nächsten Moffat-Frust :)!
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