Sollte man „Victoria“
für seine Ambition feiern? Spoileralarm: Ich weiß es auch nicht.
von Henni
Ich
bin nicht gerne negativ.
Das
mag manche Leser dieses Blogs und Leute, die mich kennen, überraschen, aber ich
hoffe eigentlich bei jedem Film, den ich gucke, dass er sich als gut
herausstellt. Trotzdem schreibe ich hier oft eher negative Kritiken, als
positive.
Der
Grund dafür ist eigentlich ganz einfach: ich schreibe meistens nur dann
Kritiken, wenn ich das Gefühl habe wirklich etwas über einen Film sagen zu
können, was von anderen zu wenig oder noch nicht gesagt wurde. Und bei vielen
Filmen, die ich wirklich liebe, haben oft schon andere viel besser gesagt, was
diese Filme so speziell macht, als ich das je könnte.
Manchmal
ist das, was ich zu sagen habe, dann durchaus positiv wie bei meiner Review von
The Interview oder bei Zebrapapagei’s Schatztruhe. Aber oft
ist es negativ, wie bei Interstellar,
wenn ich den filmkritischen Diskurs um einen Film absolut nicht verstehe und manchmal
denke, dass ich einen völlig anderen Film gesehen habe als viele Kinozuschauer
und Kritiker.
Den
Impuls eine negative Kritik zu schreiben, hatte ich auch wieder sehr stark nach
Victoria. Aber nachdem ich den Film
jetzt zwei Tage hab sacken lassen, möchte ich nicht einfach wieder die diversen
Mängel des Films auflisten, ein, zwei Kraftausdrücke und unausgegorene
Metaphern dazu mischen und fertig. Das heißt nicht, dass der Film im Rückblick
irgendwie besser für mich geworden ist. Ganz im Gegenteil, ich denke Victoria ist auf fast jeder Ebene ein
durch und durch schlechter Film. Aber es ist ein Film, der durch sich selber
und durch die Reaktionen, die er hervorgerufen hat, ein Licht auf vieles wirft,
was im Filmdiskurs allgemein, im deutschen Filmdiskurs im Speziellen und in der
deutschen Filmindustrie schief läuft.
Also
schon mal vorab die Warnung: Das hier wird etwas länger.
Außerdem
vorab: Ich möchte hier niemanden angreifen, der Victoria mochte. Ich hab mir zwar relativ viel Gedanken über all
das hier gemacht, aber ich kann ebenso gut absolut daneben liegen und nur zu
blöd sein zu kapieren, was diesen Film so toll macht. Vielleicht habt ihr ja
die besseren Argumente. Ich lass mich gern vom Gegenteil überzeugen.
Okay,
ohne noch mehr um den heißen Brei zu reden, lasst uns anfangen!
1. Der deutsche
Film ist tot oder fängt zumindest an verdächtig zu stinken…
Ich
mag den deutschen Film.
Ich
bin ein großer Fan von Fritz Lang und bin gerade dabei Murnau zu entdecken. Ich
mag das deutsche Nachkriegskino sehr gerne. Ich liebe die Edgar Wallace Filme und die diversen Karl May Verfilmungen. Michael Hanecke hat einige meiner absoluten
Lieblingsfilme gemacht.
Über
all das spreche ich nicht, wenn ich sage „Der deutsche Film ist tot“. Was ich
meine sind die deutschen Filme, der letzten ca. 10 bis 15 Jahre. Die Filme aus
der Zeit, in der Reality TV echte Fernsehproduktionen abgelöst hat. Die Zeit,
in der Till Schweiger zu unserm erfolgreichsten Filmemacher wurde. Die Zeit, in
der Deutschland mit „Komödien“ überschwemmt wurde.
Klar,
es gab hin und wieder mal eine Ausnahme wie Das weiße Band. Aber wenn man sich den deutschen Filmoutput des
letzten Jahrzehnts anguckt, sind die meisten Filme davon nicht nur schlecht,
sondern peinlich. Die deutsche Filmindustrie scheint (hauptsächlich) entweder
nur zynische, cineastische Wegwerfprodukte oder schlicht und weg inkompetenten
Dreck zu produzieren.
Und
ich hab keine Ahnung warum. Liegt es an den beinahe wahllos agierenden Filmfonds,die wirklich jeden unterstützen? (Im Ernst, lest euch den Artikel durch. Es
werden in Deutschland pro Jahr ca. 120 Filme produziert, die nie jemand sieht)
Werden unsere Filmemacher so schlecht ausgebildet, dass sie nicht wissen wie
Cinematographie und Storytelling funktionieren? Liegt es an uns als Kultur? Wir
sind schließlich ein Land, das eine Tradition daraus gemacht hat jeden Sonntag
eine Serie zu gucken, die wir nichts ins Ausland verkaufen können, weil sie so
schlecht ist.
Ich
hab keine Ahnung woran es wirklich liegt.
Es
wird noch bizarrer, wenn man sich im Vergleich den Rest Europas anguckt und was
für gute Filme dort gedreht werden. In Schweden dreht Lukas Moodysson ein
Meisterwerk nach dem anderen. Die Finnen leihen sich für ihre Actionfilme (!)
mal gerade Samuel L. Jackson aus. Das dänische Kino bringt uns Klassiker wie Adams Äpfel. Die Franzosen können
kompetente Massenware wie Ziemlich Beste
Freunde und Meisterwerke wie Blau
ist eine warme Farbe produzieren. Das englische Kino hat uns Genies wie
Edgar Wright und Armando Iannuci gebracht. Ungarn hat uns dieses Jahr White God beschert. Ich meine guckt
euch verdammt noch mal diesen Trailer an! Seht ihr das?
Und
was wird bei uns als großer deutscher Film gefeiert? Der Studentenfilm-Tatort Im Schmerz geboren und jetzt Victoria. Beides keine guten Filme und
beides Filme, die amerikanischen Trends teilweise Jahrzehnte hinterherhetzen. Im Schmerz geboren wirkt wie ein 90er
Jahre Tarantino Nachahmer und Victoria
versucht sowohl Birdman als auch dem
Mumblecore Genre nachzueifern.
Aber
warum werden gerade diese Filme gefeiert?
2. „TANGIBLE
DETAILS“
Der
großartige Film Critic Hulk (den ihr alle lesen solltet, wenn ihr das nicht
schon tut) hat vor Jahren einmal in einem seiner Essays die Theorie der „tangible details“ aufgestellt. Er definiert sie folgendermaßen:
“IN
ONE WAY, IT OKAY IF NOT KNOW LOT ABOUT CERTAIN SUBJECT. THERE ACTUALLY
SUBCONSCIOUS WAY IN WHICH MOST OF US ABLE PROCESS SIMPLE GOOD OR BADNESS OF
JUST ABOUT ANYTHING: MOVIES WORK ON LARGELY VISCERAL LEVEL. FOOD CAN TASTE GOOD
OR NO TASTE GOOD. SPORTS TEAMS HAVE WINS AND LOSSES. PRODUCTS CAN SIMPLY WORK
OR NO WORK. THERE WAY WE UNDERSTAND SOME FORM RELATIVE VALUE OF ALL THESE
THINGS.
BUT
WHEN COME TIME ACTUALLY EXPLAIN THEM, NOT EVERYONE HAVE
LANGUAGE/VERNACULAR TO BEST EXPRESS WHAT AT PLAY. SO ONLY WAY CAN EXPLAIN
ANYTHING BY PRESENTING EVIDENCE. AND EVIDENCE 100% DEPENDENT ON THINGS WE
NOTICE. AND THOSE THE TANGIBLE DETAILS.
…
and FOR MOST PEOPLE, IT NOT ALWAYS THE RIGHT DETAILS PER SAY, BUT
INSTEAD THE ONES THAT SIMPLY STICK OUT MOST.”
In Kurzform: Viel Filmkritik (von Zuschauern und auch Kritikern) fokussiert
sich einfach nur auf die offensichtlichen Details eines Films. Er macht dies
unter anderem an Spider-Man 3 fest
und wie viele Leute die Emo Peter Parker Tanzszene als Grund angeben, weshalb
der Film schlecht ist. Die eigentlichen Gründe weshalb der Film versagt (der
verworrene Plot, die inkohärente Charakterzeichnung) sind subtiler und werden
nicht genannt/ wahrgenommen. Davon zieht er eine Verbindung zu den Oscars und wie auch diese von „tangible details“ bestimmt werden.
„THERE
OLD ADAGE ABOUT OSCARS AND THAT YOU “SWITCH THE WORD ‘BEST’ WITH ‘MOST.'” AFTER
SEEING VOTING PROCESS UP CLOSE HULK TELL YOU IT ABSOLUTELY TRUE. MOST
ACTING. ALWAYS THE BIG BOMBASTIC PERFORMANCES WIN. VOTERS LOVE TANGIBLE
EVIDENCE LIKE ACTOR PUTTING ON WEIGHT OR “GOING UGLY.” EVEN EXTREME EXAMPLES OF
METHOD ACTING WILL DO. OR PERHAPS MOST COSTUME DESIGN. PICK YOUR
PERIOD PIECE DU JOUR! MOST SCEENWRITING. PICK MOVIE WITH MOST
MEMORABLE DIALOGUE, IGNORING CHARACTER MOTIVATION AND STORYTELLING 101 STUFF.
JUST THE STUFF AVERAGE MOVIE-GOER KNOWS THE WRITER DID. HECK, EVEN MOST
PICTURE WORKS. LOOK HOW MANY FLAWLESS FILMS HAVE LOST TO THE MOST EPIC ONE
(MOST OBVIOUS L.A. CONFIDENTIAL VS. TITANIC).
AND TITANIC AT LEAST HAVE SOME KIND HISTORICAL RELEVANCY. THERE REASON SO MANY
OTHER BEST PICTURE WINNERS NO GO ON BECOME HISTORICAL GREATS.”
Der
Oscarbezug im Zitat lässt ja schon erahnen, dass dies nicht ein rein deutsches
Problem ist. Es gibt genug amerikanische „tangible details“ Filme, wie z.B. Birdman. Aber genau dieses Phänomen
sieht man auch in den Reaktionen zu Im Schmerz
geboren und vor allem zu Victoria.
Im Schmerz
geboren hat
stark stilisierte Bilder und eine unkonventionelle Erzählweise (vor allem für
einen Tatort). Das fällt Zuschauern auf. Den Blick hinter diese Details darauf,
ob die Geschichte wirklich gut und klar erzählt ist, ob es klar durchgehende
Thematiken gibt, ob die ganzen Shakespeare Anspielungen wirklich Bedeutung
haben etc. machen weniger Zuschauer.
Und
was ist das eine „tangible detail“, auf das sich jeder bei Victoria stürzt, egal ob die Filmemacher selber, der deutsche Feuilleton
oder das Kinopublikum? Klar, das „eine Take“. Es ist direkt vor unseren Augen.
Jeder von uns kann es sehen und jeder sieht auch, dass da drin scheinbar viel
Arbeit steckt. Aber wird auch dahinter geguckt? Wird geguckt ob es für die
Geschichte tatsächlich Sinn macht? Wird geguckt ob es überhaupt eine gute Idee
war? Wird geguckt ob es wirklich eine gutes Take ist (also ob die Kameraarbeit
und Cinematographie wirklich gut der Story dienen)?
Die
Antwort ist in den meisten Fällen: Nein.
3. „Ziemlich gut
für einen deutschen Film“
Den
Fokus auf „tangible details“ findet man immer wieder in deutschen Filmkritiken,
wie auch im internationalen Feuilleton.
Was
die deutsche Filmkritik aber „besonders“ macht, ist ihre Beziehung zum
deutschen Film, bzw. ihre scheinbare Verweigerung sich wirklich mit ihm
auseinander zu setzen.
…
Und
an dieser Stelle muss ich einmal stoppen, um nochmal klar zu machen, dass das
hier nur Beobachtungen und Vermutungen sind. Ich kenne die meisten Kritiker
nicht privat und möchte ihnen nichts Fantastisches unterstellen, sondern nur
Rückschlüsse aus ihrem Werk ziehen. Okay? Gut.
…
Es
gibt nämlich scheinbar zwei Arten, wie deutsche Filme von deutschen Kritikern
bewertet werden. Es wird sich A) gar nicht mit ihnen auseinander gesetzt. Das
betrifft vor allem Schweiger und Schweighöfer Filme. Die sind entweder
schlecht, weil sie Romcoms sind und „die sind ja eh nur für Frauen“. Oder die
sind sowieso nur für den „Mainstream“ oder was ähnlich Herablassendes. Aspekte
wie Schweigers handwerkliche Inkompetenz oder Schweighöfers menschenverachtender Zynismus und Sexismus werden gar nicht wahrgenommen.
Oder
die Filme kriegen B) einen Bonus, weil sie deutsch sind. Es wird über Mängel
wohlwollend hinweg gesehen, weil „man“ ja weiß, dass der deutsche Film im
Moment nicht so gut ist. Filme sind nicht schlecht, sondern „ziemlich gut für
einen deutschen Film“. Man stelle sich nur mal vor wie die Kritiken für Im Schmerz geboren ausgesehen hätten,
wenn der Film amerikanisch gewesen wäre. Das Feuilleton hätte sich darauf
gestürzt.
4. Was hat das
alles mit Victoria zu tun?
Was
haben all diese Exkurse denn nun mit dem neuen deutschen Filmwunderkind Victoria zu tun? Und warum steht in der
Titelunterschrift was von Ambition? Das kam doch noch gar nicht vor…
Zunächst
mal ist Victoria ein Film, der sehr
von seinem einen „One Take“ Gimmick profitiert. Es ist überhaupt der Grund
warum irgendjemand über diesen Film redet. Der exakt gleiche Film, nur mit
Schnitt wäre direkt nach seinem Startwochenende wieder vergessen worden.
Denn
Victoria ist nicht besonders gut.
Für den Film gab es statt einem richtigen Drehbuch, nur ein 12-seitiges Skript
mit der Handlung, aber größtenteils ohne Dialoge. Die Idee dahinter? Der Film
sollte authentischer werden. Das Ergebnis? Die Schauspieler versuchen immer
möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die Dialoge drehen sich immer
wieder im Kreis und die Charakterzeichnung ist nicht mehr bachvollziehbar.
Und
auch die Kameraarbeit ist nicht die beste. Bevor jetzt alle aufschreien, das
ist nicht als Angriff auf Kameramann Sturla Brandth Grøvlen gemeint. Es ist
beeindruckend, dass er den Schauspielern die ganze Zeit folgen konnte. Es ist
vielmehr eine Kritik am Konzept an sich.
Wenn
man sich dafür entscheidet nur ein Take zu machen, verzichtet man dabei auf den
Großteil der Werkzeuge, die einem als Filmemacher zur Verfügung stehen. Man
kann den Blick des Publikums nicht durch Close-ups und andere Perspektiven lenken.
Man hat nicht die Möglichkeit im Schnitt weiteres Feintuning am Film zu
betreiben. Man wird am Set physisch unglaublich begrenzt. Man hat nicht die
Möglichkeit im Nachhinein zu gucken was funktioniert und was nicht. Also sollte
man sich bevor man sich für „ein Take“ entscheidet wirklich sicher sein was man
machen will und vielleicht mehr als nur ein 12-seitiges Skript haben.
Denn
alle Probleme, die Victoria hat,
haben denselben Ursprung wie all die Lobeshymnen auf den Film: das eine Take.
Der Film hat ein furchtbares Pacing, weil wir
den Figuren auf jedem Laufweg folgen müssen, anstatt dass einfach geschnitten
wird. Das Sounddesign ist furchtbar, weil alle Schauspieler gleichzeitig reden,
weil es nicht mehrere Takes gibt. Die Kamera versucht nur den Schauspielern zu
folgen und nicht viel mehr. Das heißt die gleichen Perspektiven, hauptsächlich
Nahaufnahmen, wiederholen sich immer wieder. Das führt dazu, dass der Film
gezwungenermaßen dieselbe Bildsprache für völlig unterschiedliche Stimmungen
benutzt. Egal ob die Atmosphäre gerade bedrohlich, gehetzt, verträumt,
romantisch oder traurig sein soll, der Film benutzt dieselben Einstellungen. Die
wacklige Kamera, die immer gnadenlos auf das Geschehen hält, passt aber leider
nur in gehetzten oder bedrohlichen Szenen.
Bild: Eine "romantische" Szene
Die Liste ist beliebig weit
fortsetzbar.
Jetzt
fragt ihr euch vielleicht: Warum brauchst du so einen langen Artikel, wenn der
Film eh nur furchtbar klingt?
Weil
er ambitioniert ist. Bei allem was man Victoria
vorhalten kann, muss man auch festhalten, dass gerade in Deutschland über einen
Film geredet wird, der zumindest versucht großes Kino zu sein. Der nicht nur
eine zynische Komödie vom Band ist.
Das
Tragische ist nur, dass diese Ambition auch genau der Grund ist, weshalb der
Film durch und durch furchtbar ist. Die traurige Wahrheit ist, dass Victoria wesentlich anschaubarer wäre wenn
man das „eine Take“ über Bord schmeißen und den Film so wie er jetzt ist
schneiden und um gute 40 Minuten kürzen würde.
Sollte
man diese Ambition dann, wenn sie völlig irrgeleitet ist, überhaupt loben? Ist
es nicht traurig, wenn wir sagen, dass Victoria
wirklich das Beste ist, was der deutsche Film zu bieten hat? Und senden wir
damit nicht das Signal an junge Filmemacher, dass Storytelling, Cinematographie
und all die wirkliche Arbeit des Filmemachens unwichtig sind? Denn bei all der
Arbeit, die in Victoria steckt, ist
es ein echt „fauler“ Film.
Der
Idealist in mir würde gerne sagen, dass wir Victoria einfach als den schlechten Film abtun sollten, der er ist.
Aber der Pragmatist in mir befürchtet, dass wir Victoria brauchen um der deutschen Filmindustrie zu zeigen, dass
der deutsche Film wieder mehr als Schweiger und Schweighöfer sein kann. Vielleicht
werden dann ja die nächsten deutschen Autorenfilme auch tatsächlich gut.
Ich
weiß keine einfache Antwort auf all das. Wahrscheinlich liegt der richtige Weg
irgendwo dazwischen. In jedem Fall ist es traurig, dass Victoria scheinbar unser Vorzeigefilm ist.
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