Freitag, 11. September 2015

„Victoria“ und der Zustand des deutschen Films



Sollte man „Victoria“ für seine Ambition feiern? Spoileralarm: Ich weiß es auch nicht.

von Henni

 
Ich bin nicht gerne negativ.

Das mag manche Leser dieses Blogs und Leute, die mich kennen, überraschen, aber ich hoffe eigentlich bei jedem Film, den ich gucke, dass er sich als gut herausstellt. Trotzdem schreibe ich hier oft eher negative Kritiken, als positive.

Der Grund dafür ist eigentlich ganz einfach: ich schreibe meistens nur dann Kritiken, wenn ich das Gefühl habe wirklich etwas über einen Film sagen zu können, was von anderen zu wenig oder noch nicht gesagt wurde. Und bei vielen Filmen, die ich wirklich liebe, haben oft schon andere viel besser gesagt, was diese Filme so speziell macht, als ich das je könnte.

Manchmal ist das, was ich zu sagen habe, dann durchaus positiv wie bei meiner Review von The Interview oder bei Zebrapapagei’s Schatztruhe. Aber oft ist es negativ, wie bei Interstellar, wenn ich den filmkritischen Diskurs um einen Film absolut nicht verstehe und manchmal denke, dass ich einen völlig anderen Film gesehen habe als viele Kinozuschauer und Kritiker.

Den Impuls eine negative Kritik zu schreiben, hatte ich auch wieder sehr stark nach Victoria. Aber nachdem ich den Film jetzt zwei Tage hab sacken lassen, möchte ich nicht einfach wieder die diversen Mängel des Films auflisten, ein, zwei Kraftausdrücke und unausgegorene Metaphern dazu mischen und fertig. Das heißt nicht, dass der Film im Rückblick irgendwie besser für mich geworden ist. Ganz im Gegenteil, ich denke Victoria ist auf fast jeder Ebene ein durch und durch schlechter Film. Aber es ist ein Film, der durch sich selber und durch die Reaktionen, die er hervorgerufen hat, ein Licht auf vieles wirft, was im Filmdiskurs allgemein, im deutschen Filmdiskurs im Speziellen und in der deutschen Filmindustrie schief läuft.

Also schon mal vorab die Warnung: Das hier wird etwas länger.

Außerdem vorab: Ich möchte hier niemanden angreifen, der Victoria mochte. Ich hab mir zwar relativ viel Gedanken über all das hier gemacht, aber ich kann ebenso gut absolut daneben liegen und nur zu blöd sein zu kapieren, was diesen Film so toll macht. Vielleicht habt ihr ja die besseren Argumente. Ich lass mich gern vom Gegenteil überzeugen.

Okay, ohne noch mehr um den heißen Brei zu reden, lasst uns anfangen!

1. Der deutsche Film ist tot oder fängt zumindest an verdächtig zu stinken…

Ich mag den deutschen Film.

Ich bin ein großer Fan von Fritz Lang und bin gerade dabei Murnau zu entdecken. Ich mag das deutsche Nachkriegskino sehr gerne. Ich liebe die Edgar Wallace Filme und die diversen Karl May Verfilmungen. Michael Hanecke hat einige meiner absoluten Lieblingsfilme gemacht.

Über all das spreche ich nicht, wenn ich sage „Der deutsche Film ist tot“. Was ich meine sind die deutschen Filme, der letzten ca. 10 bis 15 Jahre. Die Filme aus der Zeit, in der Reality TV echte Fernsehproduktionen abgelöst hat. Die Zeit, in der Till Schweiger zu unserm erfolgreichsten Filmemacher wurde. Die Zeit, in der Deutschland mit „Komödien“ überschwemmt wurde.

Klar, es gab hin und wieder mal eine Ausnahme wie Das weiße Band. Aber wenn man sich den deutschen Filmoutput des letzten Jahrzehnts anguckt, sind die meisten Filme davon nicht nur schlecht, sondern peinlich. Die deutsche Filmindustrie scheint (hauptsächlich) entweder nur zynische, cineastische Wegwerfprodukte oder schlicht und weg inkompetenten Dreck zu produzieren.

Und ich hab keine Ahnung warum. Liegt es an den beinahe wahllos agierenden Filmfonds,die wirklich jeden unterstützen? (Im Ernst, lest euch den Artikel durch. Es werden in Deutschland pro Jahr ca. 120 Filme produziert, die nie jemand sieht) Werden unsere Filmemacher so schlecht ausgebildet, dass sie nicht wissen wie Cinematographie und Storytelling funktionieren? Liegt es an uns als Kultur? Wir sind schließlich ein Land, das eine Tradition daraus gemacht hat jeden Sonntag eine Serie zu gucken, die wir nichts ins Ausland verkaufen können, weil sie so schlecht ist.

Ich hab keine Ahnung woran es wirklich liegt.

Es wird noch bizarrer, wenn man sich im Vergleich den Rest Europas anguckt und was für gute Filme dort gedreht werden. In Schweden dreht Lukas Moodysson ein Meisterwerk nach dem anderen. Die Finnen leihen sich für ihre Actionfilme (!) mal gerade Samuel L. Jackson aus. Das dänische Kino bringt uns Klassiker wie Adams Äpfel. Die Franzosen können kompetente Massenware wie Ziemlich Beste Freunde und Meisterwerke wie Blau ist eine warme Farbe produzieren. Das englische Kino hat uns Genies wie Edgar Wright und Armando Iannuci gebracht. Ungarn hat uns dieses Jahr White God beschert. Ich meine guckt euch verdammt noch mal diesen Trailer an! Seht ihr das?

  
Und was wird bei uns als großer deutscher Film gefeiert? Der Studentenfilm-Tatort Im Schmerz geboren und jetzt Victoria. Beides keine guten Filme und beides Filme, die amerikanischen Trends teilweise Jahrzehnte hinterherhetzen. Im Schmerz geboren wirkt wie ein 90er Jahre Tarantino Nachahmer und Victoria versucht sowohl Birdman als auch dem Mumblecore Genre nachzueifern.

Aber warum werden gerade diese Filme gefeiert?

2. „TANGIBLE DETAILS“

Der großartige Film Critic Hulk (den ihr alle lesen solltet, wenn ihr das nicht schon tut) hat vor Jahren einmal in einem seiner Essays die Theorie der „tangible details“ aufgestellt. Er definiert sie folgendermaßen:

“IN ONE WAY, IT OKAY IF NOT KNOW LOT ABOUT CERTAIN SUBJECT. THERE ACTUALLY SUBCONSCIOUS WAY IN WHICH MOST OF US ABLE PROCESS SIMPLE GOOD OR BADNESS OF JUST ABOUT ANYTHING: MOVIES WORK ON LARGELY VISCERAL LEVEL. FOOD CAN TASTE GOOD OR NO TASTE GOOD. SPORTS TEAMS HAVE WINS AND LOSSES. PRODUCTS CAN SIMPLY WORK OR NO WORK. THERE WAY WE UNDERSTAND SOME FORM RELATIVE VALUE OF ALL THESE THINGS.
BUT WHEN COME TIME ACTUALLY EXPLAIN THEM, NOT EVERYONE HAVE LANGUAGE/VERNACULAR TO BEST EXPRESS WHAT AT PLAY. SO ONLY WAY CAN EXPLAIN ANYTHING BY PRESENTING EVIDENCE. AND EVIDENCE 100% DEPENDENT ON THINGS WE NOTICE. AND THOSE THE TANGIBLE DETAILS.
… and FOR MOST PEOPLE, IT NOT ALWAYS THE RIGHT DETAILS PER SAY, BUT INSTEAD THE ONES THAT SIMPLY STICK OUT MOST.”
In Kurzform: Viel Filmkritik (von Zuschauern und auch Kritikern) fokussiert sich einfach nur auf die offensichtlichen Details eines Films. Er macht dies unter anderem an Spider-Man 3 fest und wie viele Leute die Emo Peter Parker Tanzszene als Grund angeben, weshalb der Film schlecht ist. Die eigentlichen Gründe weshalb der Film versagt (der verworrene Plot, die inkohärente Charakterzeichnung) sind subtiler und werden nicht genannt/ wahrgenommen.
Davon zieht er eine Verbindung zu den Oscars und wie auch diese von „tangible details“ bestimmt werden.

„THERE OLD ADAGE ABOUT OSCARS AND THAT YOU “SWITCH THE WORD ‘BEST’ WITH ‘MOST.'” AFTER SEEING VOTING PROCESS UP CLOSE HULK TELL YOU IT ABSOLUTELY TRUE. MOST ACTING. ALWAYS THE BIG BOMBASTIC PERFORMANCES WIN. VOTERS LOVE TANGIBLE EVIDENCE LIKE ACTOR PUTTING ON WEIGHT OR “GOING UGLY.” EVEN EXTREME EXAMPLES OF METHOD ACTING WILL DO. OR PERHAPS MOST COSTUME DESIGN. PICK YOUR PERIOD PIECE DU JOUR! MOST SCEENWRITING. PICK MOVIE WITH MOST MEMORABLE DIALOGUE, IGNORING CHARACTER MOTIVATION AND STORYTELLING 101 STUFF. JUST THE STUFF AVERAGE MOVIE-GOER KNOWS THE WRITER DID. HECK, EVEN MOST PICTURE WORKS. LOOK HOW MANY FLAWLESS FILMS HAVE LOST TO THE MOST EPIC ONE (MOST OBVIOUS L.A. CONFIDENTIAL VS. TITANIC). AND TITANIC AT LEAST HAVE SOME KIND HISTORICAL RELEVANCY. THERE REASON SO MANY OTHER BEST PICTURE WINNERS NO GO ON BECOME HISTORICAL GREATS.”
Der Oscarbezug im Zitat lässt ja schon erahnen, dass dies nicht ein rein deutsches Problem ist. Es gibt genug amerikanische „tangible details“ Filme, wie z.B. Birdman. Aber genau dieses Phänomen sieht man auch in den Reaktionen zu Im Schmerz geboren und vor allem zu Victoria.

Im Schmerz geboren hat stark stilisierte Bilder und eine unkonventionelle Erzählweise (vor allem für einen Tatort). Das fällt Zuschauern auf. Den Blick hinter diese Details darauf, ob die Geschichte wirklich gut und klar erzählt ist, ob es klar durchgehende Thematiken gibt, ob die ganzen Shakespeare Anspielungen wirklich Bedeutung haben etc. machen weniger Zuschauer.

Und was ist das eine „tangible detail“, auf das sich jeder bei Victoria stürzt, egal ob die Filmemacher selber, der deutsche Feuilleton oder das Kinopublikum? Klar, das „eine Take“. Es ist direkt vor unseren Augen. Jeder von uns kann es sehen und jeder sieht auch, dass da drin scheinbar viel Arbeit steckt. Aber wird auch dahinter geguckt? Wird geguckt ob es für die Geschichte tatsächlich Sinn macht? Wird geguckt ob es überhaupt eine gute Idee war? Wird geguckt ob es wirklich eine gutes Take ist (also ob die Kameraarbeit und Cinematographie wirklich gut der Story dienen)?

Die Antwort ist in den meisten Fällen: Nein.

3. „Ziemlich gut für einen deutschen Film“

Den Fokus auf „tangible details“ findet man immer wieder in deutschen Filmkritiken, wie auch im internationalen Feuilleton.

Was die deutsche Filmkritik aber „besonders“ macht, ist ihre Beziehung zum deutschen Film, bzw. ihre scheinbare Verweigerung sich wirklich mit ihm auseinander zu setzen.


Und an dieser Stelle muss ich einmal stoppen, um nochmal klar zu machen, dass das hier nur Beobachtungen und Vermutungen sind. Ich kenne die meisten Kritiker nicht privat und möchte ihnen nichts Fantastisches unterstellen, sondern nur Rückschlüsse aus ihrem Werk ziehen. Okay? Gut.


Es gibt nämlich scheinbar zwei Arten, wie deutsche Filme von deutschen Kritikern bewertet werden. Es wird sich A) gar nicht mit ihnen auseinander gesetzt. Das betrifft vor allem Schweiger und Schweighöfer Filme. Die sind entweder schlecht, weil sie Romcoms sind und „die sind ja eh nur für Frauen“. Oder die sind sowieso nur für den „Mainstream“ oder was ähnlich Herablassendes. Aspekte wie Schweigers handwerkliche Inkompetenz oder Schweighöfers menschenverachtender Zynismus und Sexismus werden gar nicht wahrgenommen.

Oder die Filme kriegen B) einen Bonus, weil sie deutsch sind. Es wird über Mängel wohlwollend hinweg gesehen, weil „man“ ja weiß, dass der deutsche Film im Moment nicht so gut ist. Filme sind nicht schlecht, sondern „ziemlich gut für einen deutschen Film“. Man stelle sich nur mal vor wie die Kritiken für Im Schmerz geboren ausgesehen hätten, wenn der Film amerikanisch gewesen wäre. Das Feuilleton hätte sich darauf gestürzt.

4. Was hat das alles mit Victoria zu tun?
 
Was haben all diese Exkurse denn nun mit dem neuen deutschen Filmwunderkind Victoria zu tun? Und warum steht in der Titelunterschrift was von Ambition? Das kam doch noch gar nicht vor…

Zunächst mal ist Victoria ein Film, der sehr von seinem einen „One Take“ Gimmick profitiert. Es ist überhaupt der Grund warum irgendjemand über diesen Film redet. Der exakt gleiche Film, nur mit Schnitt wäre direkt nach seinem Startwochenende wieder vergessen worden.

Denn Victoria ist nicht besonders gut. Für den Film gab es statt einem richtigen Drehbuch, nur ein 12-seitiges Skript mit der Handlung, aber größtenteils ohne Dialoge. Die Idee dahinter? Der Film sollte authentischer werden. Das Ergebnis? Die Schauspieler versuchen immer möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die Dialoge drehen sich immer wieder im Kreis und die Charakterzeichnung ist nicht mehr bachvollziehbar.

Und auch die Kameraarbeit ist nicht die beste. Bevor jetzt alle aufschreien, das ist nicht als Angriff auf Kameramann Sturla Brandth Grøvlen gemeint. Es ist beeindruckend, dass er den Schauspielern die ganze Zeit folgen konnte. Es ist vielmehr eine Kritik am Konzept an sich.

Wenn man sich dafür entscheidet nur ein Take zu machen, verzichtet man dabei auf den Großteil der Werkzeuge, die einem als Filmemacher zur Verfügung stehen. Man kann den Blick des Publikums nicht durch Close-ups und andere Perspektiven lenken. Man hat nicht die Möglichkeit im Schnitt weiteres Feintuning am Film zu betreiben. Man wird am Set physisch unglaublich begrenzt. Man hat nicht die Möglichkeit im Nachhinein zu gucken was funktioniert und was nicht. Also sollte man sich bevor man sich für „ein Take“ entscheidet wirklich sicher sein was man machen will und vielleicht mehr als nur ein 12-seitiges Skript haben.

Denn alle Probleme, die Victoria hat, haben denselben Ursprung wie all die Lobeshymnen auf den Film: das eine Take.

 Der Film hat ein furchtbares Pacing, weil wir den Figuren auf jedem Laufweg folgen müssen, anstatt dass einfach geschnitten wird. Das Sounddesign ist furchtbar, weil alle Schauspieler gleichzeitig reden, weil es nicht mehrere Takes gibt. Die Kamera versucht nur den Schauspielern zu folgen und nicht viel mehr. Das heißt die gleichen Perspektiven, hauptsächlich Nahaufnahmen, wiederholen sich immer wieder. Das führt dazu, dass der Film gezwungenermaßen dieselbe Bildsprache für völlig unterschiedliche Stimmungen benutzt. Egal ob die Atmosphäre gerade bedrohlich, gehetzt, verträumt, romantisch oder traurig sein soll, der Film benutzt dieselben Einstellungen. Die wacklige Kamera, die immer gnadenlos auf das Geschehen hält, passt aber leider nur in gehetzten oder bedrohlichen Szenen. 

                                           Bild: Eine "romantische" Szene

Die Liste ist beliebig weit fortsetzbar.

Jetzt fragt ihr euch vielleicht: Warum brauchst du so einen langen Artikel, wenn der Film eh nur furchtbar klingt?

Weil er ambitioniert ist. Bei allem was man Victoria vorhalten kann, muss man auch festhalten, dass gerade in Deutschland über einen Film geredet wird, der zumindest versucht großes Kino zu sein. Der nicht nur eine zynische Komödie vom Band ist.

Das Tragische ist nur, dass diese Ambition auch genau der Grund ist, weshalb der Film durch und durch furchtbar ist. Die traurige Wahrheit ist, dass Victoria wesentlich anschaubarer wäre wenn man das „eine Take“ über Bord schmeißen und den Film so wie er jetzt ist schneiden und um gute 40 Minuten kürzen würde.

Sollte man diese Ambition dann, wenn sie völlig irrgeleitet ist, überhaupt loben? Ist es nicht traurig, wenn wir sagen, dass Victoria wirklich das Beste ist, was der deutsche Film zu bieten hat? Und senden wir damit nicht das Signal an junge Filmemacher, dass Storytelling, Cinematographie und all die wirkliche Arbeit des Filmemachens unwichtig sind? Denn bei all der Arbeit, die in Victoria steckt, ist es ein echt „fauler“ Film.

Der Idealist in mir würde gerne sagen, dass wir Victoria einfach als den schlechten Film abtun sollten, der er ist. Aber der Pragmatist in mir befürchtet, dass wir Victoria brauchen um der deutschen Filmindustrie zu zeigen, dass der deutsche Film wieder mehr als Schweiger und Schweighöfer sein kann. Vielleicht werden dann ja die nächsten deutschen Autorenfilme auch tatsächlich gut.

Ich weiß keine einfache Antwort auf all das. Wahrscheinlich liegt der richtige Weg irgendwo dazwischen. In jedem Fall ist es traurig, dass Victoria scheinbar unser Vorzeigefilm ist.

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