Sonntag, 8. März 2015

Review: „Birdman“ ist vor allem eins – unglaublich dumm.



Lange Takes machen einen Film nicht automatisch zu Kunst.

von Henni


Stellt euch vor ihr seid auf der Party einer Bekannten. Irgendwann im Laufe des Abends stellt sie euch einen ihrer Kumpels vor. Er ist Literaturstudent im ersten Semester und kann den ganzen Abend lang nicht die Klappe halten. Er redet von großer Kunst und von großen Künstlern. Aber je länger er redet, umso mehr merkt ihr, dass er nicht versteht was diese Worte wirklich bedeuten. Er schafft es nur anderen Leuten vorzumachen er wäre intelligent, weil er ab und an etwas Intelligentes zitiert. Als ihr dann mit einem anderen Gast ins Gespräch über Avengers und Harry Potter geratet, macht er sich über euren „primitiven“ Geschmack lustig und rät euch mal „wahre Kunst“ auszuprobieren.

Birdman ist genau wie dieser Student. Laut, nervig und mit allen Mitteln dabei davon abzulenken, wie dumm er wirklich ist.

Das beginnt beim Casting. Michael Keaton, ein Schauspieler, der vor allem dafür berühmt ist einen Superhelden gespielt zu haben, spielt Riggan Thomson, einen Schauspieler, der vor allem dafür berühmt ist einen Superhelden gespielt zu haben. Edward Norton, ein Schauspieler, der dafür berühmt ist sich bei seinen Projekten in alles einzumischen, spielt Mike Shiner, einen Schauspieler, der dafür berühmt ist sich bei seinen Projekten in alles einzumischen. Das ist voll meta und soll dem Zuschauer schon von Anfang an vermitteln wie clever Birdman ist.

Es gibt auch noch ein paar Frauen, aber die sind eh nur Nebensache. Denkt der Film.

Es geht um ganz große Kunst. Thomson will seine Karriere am Theater wieder aufleben lassen um der Schande zu entgehen mal einen Superhelden gespielt zu haben. Also will er jetzt etwas „wahres“ schaffen. Was genau das sein soll, weiß der Film selbst nicht so genau. Nur dass es unglaublich „wahr“ und ganz bestimmt „Kunst“ ist. Weshalb er diese Worte bis zum Erbrechen widerholt.

Nachdem er einen Schauspieler durch eine Unfall verliert (an dem Thomson eventuell nicht ganz unschuldig war, was der Film aber sofort wieder vergisst), castet Thomson Mike Shiner. Von da an liefern sich die beiden einen Wettstreit darin wer die Frauen im Film schlechter behandeln kann und verlieren beide gegen Regisseur Alejandro González Iñárritu. Bis Thomson auf die Idee kommt, es wäre eine echt gute Idee Black Swan nachzumachen und den Film gnädiger Weise beendet.

All das ist so gefilmt, dass es die so aussieht, als wäre es in einem einzigen Take aufgenommen worden, weil Kunst. Und damit Verteidiger des Films sagen können: „Aber er ist einziges Take. Das ist doch beeindruckend! Kunst!!!“ Es ist aber mehr ablenkend als beeindruckend, weil es einerseits ein reines Gimmick ohne thematische Bedeutung für die Geschichte ist und andererseits wirklich stört. Es lenkt die Aufmerksamkeit immer wieder auf sich selbst und reißt einen damit aus der filmischen Illusion. Und es ist einfach im falschen Film. Für die Cinematographie zeichnet sich der großartige Emmanuel Lubezki verantwortlich, der solche Filme wie Children of Men oder Gravity in seinem Resümee hat. Aber seine bewegte Kameraführung macht dort auch Sinn, weil dort wirklich viel passiert. Bei Birdman stehen Leute auf einer Bühne und reden und es wird inszeniert, als würde Sandra Bullock hilflos durchs Weltraum geschleudert. Das visuelle Reportoire beginnt sich auch schnell zu wiederholen, weil das 1-Take Gimmick einfach unglaublich einengend ist. Nach der gefühlt hundertsten 180° Drehung um eine Schauspieler wird der Film visuell einfach nervig.

Wie bitter nötig Birdman all diese Tricks hat, wird klar wenn man mal einen Blick unter die Oberfläche des Films wirft. Außer Plattitüden hat der Film nichts anzubieten. Birdman will ein großes Drama über Kunst, Ego, Berühmtheit, Kritik und Liebe sein und damit das auch jeder mitkriegt gibt es pro Thema mindestens einen Monolog, in dem einer der Charaktere laut schreit, was Iñárritu über dieses Thema denkt. Aber all diese Beobachtungen sind unglaublich unreif und (man kann es gar nicht anders sagen) dumm. Am Ende von zwei sehr langen Stunden sind die großen Erkenntnisse: Theater ist gut, Superhelden sind doof, Egos sind schlecht und Kritiker sind doof. Dabei hat man das Gefühl, Iñárritu versteht eigentlich bei keinem dieser Themen wirklich wovon er spricht. So parodiert der Film z.B. zwar Superhelden, aber es wirkt wie eine Superheldenparodie von jemandem, der noch nie Superheldenfilme gesehen hat. Und Iñárritus Hauptkritikpunkt scheint zu sein, dass sie beliebt sind. Sein Angriff gegen Kritiker ist dagegen das alte Klischee, das sie nur kritisieren, weil sie nicht schaffen können; personifiziert durch eine Broadway Kritikerin, die Thomsons Stück verreißen will ohne es gesehen zu haben und die mit ihrer Kritik komplett über den Erfolg seines Stückes entscheiden kann. Ja. Wirklich.

Ansonsten wird vor allem viel geschrien und Subtilität scheint ein Fremdwort zu sein. Sexismus hingegen scheint leider kein Fremdwort für Iñárritu zu sein. Der Film geht wirklich bemerkenswert schlecht mit seinen weiblichen Figuren um. Zunächst wäre da Thomsons Tochter, gespielt von Emma Stone. Der Film hat es nötig ihr explizit zu sagen, dass sie doch bitte aufhören soll so rumzuheulen, dass ihr Vater sie vernachlässigt hat. Außerdem beginnt sie ohne jeden Grund eine Affäre mit Mike Shiner, weil „Bitches be crazy, right?“. Shiner hat übrigens kurz vorher versucht seine Mitschauspielerin auf offener Bühne zu vergewaltigen, was witzig ist, weil man seinen Ständer sehen kann. Weitere Highlights umfassen unter anderem, dass die einzige Szene im Film, in der zwei Frauen miteinander reden, damit endet, dass sie miteinander rummachen.

Ich würde jetzt gerne etwas über das Schauspiel sagen, aber die Charakterzeichnung ist so schwach und der Film verlässt sich so sehr auf Herumgeschreie, dass es mir sehr schwer fällt. Ich meine, ich weiß, dass alle Schauspieler in diesem Film wirklich gut sind, aber keiner von ihnen schafft es wirklich einen Charakter darzustellen wegen dem furchtbaren Skript mit dem sie arbeiten müssen. Das positivste, was ich sagen kann, ist dass es schön ist Michael Keaton mal wieder in einer großen Rolle zu sehen.

Letztendlich ist Birdman vor allem ein dummer Film. Er versucht dies zu verstecken und wenn man sich die Oscars anguckt, ist ihm das auch erfolgreich gelungen. Aber wenn man einmal unter die Oberfläche von „OMG! Es ist nur ein Take!!!“ schaut, hält der Film dem in so ziemlich keiner Weise stand. In zehn Jahren wird man den Film nur noch als „Ich kann nicht glauben, dass DER gegen Boyhood/Grand Budapest Hotel/Inherent Vice/The Lego Movie/(Beliebigen Film hier einsetzen) gewonnen hat“ kennen.

3 Kommentare:

  1. "Es ist aber mehr ablenkend als beeindruckend, weil es
    (-) einerseits ein reines Gimmick ohne thematische Bedeutung für die Geschichte ist und
    (-) anderseits wirklich ablenkend ist."
    Hm, es ist also quasi ablenkend, weil es unter anderem ablenkend ist? Ganz abgesehen davon, dass das schlecht argumentiert ist: Hat das denn wirklich gar keinen thematischen Bezug zum Film? Es fällt mir schwer, das nur über die Argumentation zu glauben. Habe den Film aber noch nicht gesehn

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    1. Oh mann, das war in der Eile die falsche Wortwahl. Das zweite "ablenkend" ist jetzt ein "stört". Danke für den Hinweis.

      Das Gimmick scheint aber tatsächlich nur zum reinen Selbstzweck da zu sein. Hab zwar die Interpretation gehört, dass es Thomsons Wahnsinn deutlich machen soll. Das macht aber für mich keinen Sinn, weil der Film seine Perspektive mehrfach verlässt um anderen Charakteren zu folgen ohne dass sich die Kameraführung ändert.

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  2. Was du sicherlich noch schreiben wolltest ist, dass der Film eine ziemlich coole musikalische Untermalung hat. Einerseits die klassische Musik, aber vor allem das einfache, doch aber irgendwie komplexe, brillante Schlagzeugspiel von Antonio Sanchez. Habe ich so noch nicht gesehen/gehört. Ziemlich cool.
    Dann noch ein paar Ergänzungen:
    Großartige schauspielerische Leistungen, auch von Zach Galifianakis.

    Zur Kameraführung, man mag sie irritierend finden. Ich fand sie richtig gut. Einerseits Handwerklich beeindruckend, andererseits gefiel mir die Inszenierung des Theaters echt gut. So wurden die langen, engen Korridore und verschachtelten Zimmer im labyrinthartigen Theater unglaublich gut dargestellt. Man könnte vielleicht auch sagen, dass diese Verfolgungsjagd, hoch und runter, quer durch das Gebäude, immer knapp hinter den Schauspielern, die Hektik des Geschehens unterstreicht. Vor allem zusammen mit der jazzigen Schlagzeugmusik. Denn alle am Stück Beteiligten stehen ungemein unter Druck und so wird der Stress quasi greifbar.
    Also vielleicht nicht nur Selbstzweck?
    Ich werde mir den Film vielleicht nochmal ansehen und schauen, ob ich dir dann mehr oder weniger zustimme.

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